Die Tribute von Ahnen
Hinterlasse einen Kommentar24. November 2014 von Sydney Polart ©
Die in meinem Leben einzige signifikante Konstante, der ich mich immer vertrauensvoll zuwandte, wenn ich mich mal verrannte und dachte es ging nicht schlimmer, war stets meine Tante obwohl ich sie kaum kannte. Sie ging den Weg der Tugend, doch es nützte ihr nichts, sie verstarb früh, um 10 vor 6. Sie bezahlte mit ihrem Leben, den ultimativen Tribut. Vielleicht tat ihr auch nicht gut über viele Jahre ohne Gefahrenzulage auf einer leuchtend-qualmenden Erdspalte hockend und in den Abgrund blickend Schwefeldämpfe zu atmen, um Visionen für ihr Klientel zu erhalten. Viele Menschen suchten ihren Rat. Politiker gingen in ihrer Höhle ein und aus und fragten sie nach ihren jüngsten Sympathiewerten in der Bevölkerung. Der einzige Politiker der sie nicht aufsuchte, war Helmut Schmidt, der einst meinte: „Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen“. Doch meine Tante hatte nicht eine, sie hatte viele Visionen für das Land. Doch all die Visionslosigkeit der Politiker, all der strukturelle Widerstand, all die strukturelle Gewalt, ließ sie ausbrennen und eines Tages in ein tiefes Loch fallen, denn sie konnte sich einfach nicht mehr halten. Manche sprechen sogar von Burnout. Damit hat niemand gerechnet, das konnte keiner ahnen, dass es so schlimm um sie stand, sodass sie jeden Boden unter den Füßen verlor und schließlich in die Spalte fiel. Sie hieß Pythia und wohnte in Delphi. Ich vermisse sie so sehr.
Dr. Dr. Immanuel Fruhmann